Vor einigen Tagen überließ mir ein Kunde meines Arbeitgebers, bei dem ich dauerhaft eingesetzt werde, für einen symbolischen Preis einen Karton voll Sportbekleidung. Es handelte sich vorwiegend um Zipper und Jacken namhafter Hersteller, für die ich selber keine Verwendung hatte. Auch wenn die Hilfsorganisationen ausdrücklich davon abraten Sachspenden eigenmächtig in Flüchtlingsunterkünfte zu bringen, entschloss ich mich die Textilien selbst in den Nordpark zu bringen.
Der Zuspruch unter meinen Freunden und Kollegen auf Facebook war großartig. Viele von ihnen sprachen mich in den folgenden Tagen an und begrüßten mein Engagement – wenige beendeten meine Facebook-“Freundschaft”. Ich stellte jedoch klar, dass es noch viel mehr Menschen dort gibt, die für die bevorstehenden kalten Tage keine adäquate Herbst- und Winterbekleidung haben. Tatsächlich geht es mir nicht darum Heiland zu spielen, sondern den Flüchtlingen ein Gesicht und einen Namen zu geben, um die Angst vor dem Unbekannten zu kurieren, die in vielen Deutschen derzeit steckt.
Inspiriert von der Idee, dass viele berufstätige Menschen ihren Personalrabatt, Lager- und Ladenhüter spenden könnten, übergab mir mein Bruder einen großen Karton mit Textilien, aus der Zeit, als er noch einen Copyshop betrieb. Ein Karton voll nagelneuer Poloshirts, Regenjacken, T-Shirts und Hemden. Diesmal brachte ich den Karton allerdings direkt zum Sicherheitspersonal, um sicherzustellen, dass die Spende gerecht aufgeteilt wird. Der Karton wurde sicher weggeschlossen, um einmal in der Woche eine große Kleiderausgabe zu veranstalten.
Ich unterhielt mich noch eine Weile mit einem der Sicherheitsleute. Er erzählte mir, dass er selbst vor 20 Jahren unter anderem über Kopenhagen und Hamburg als Flüchtling aus Togo nach Mönchengladbach kam. Damals kam er in einem Flüchtlingsheim auf der Lilienthalstraße unter. Wir wechselten ständig die Sprache zwischen Deutsch, Englisch und Französisch, je nach dem wie uns die Wörter, die wir suchten, in den Sinn kamen. Sani, so sein Name, erklärte mir, dass wenn das Sozialamt Mönchengladbach damals seine Lebenskosten nicht übernommen hätte, er heute keinen bezahlten Job, keine Wohnung in Rheydt und kein Auto hätte. Auf das alles ist er sehr stolz.
Plötzlich Blaulicht. Sani bat mich, am Geländer zu verweilen und den KTW zu bewachen. Eine Frau sei zusammengebrochen und der Notarzt bereits auf dem Weg hier her.

Als ich wartete, komme ich ins Gespräch mit zwei Syriern, Bashar und Hmaza. Bashar spricht sehr gutes Englisch, was mich ein wenig überrascht. Ich hake nach wo er so gutes Englisch gelernt hat. Er erklärt mir, dass er in Syrien Bauingenieurwesen studiert hat, bevor er das Land wegen des Bürgerkriegs verlässt. Hmaza spricht leider kein Englisch, bittet mich aber unmissverständlich ihm zu folgen. Ein mulmiges Gefühl überkommt mich. Nicht, weil ich den beiden nicht traue, sondern weil Deutsche in den Schlaf- und Wohnräumen des TiNs nicht gestattet sind. So zumindest, erklärten es mir die Tage zuvor immer wieder Hausmeister und Sicherheitspersonal.

Die Beiden führen mich zu ihrem abgetrennten Bereich, in dem sie wohnen, leben und schlafen. Dort warten Ashraf und seine Freunde, die mich herzlich empfangen und mir einen Sitzplatz und Getränke anbieten. Ashraf ist eine beeindruckende Persönlichkeit. Er ist Architekt in Syrien gewesen und ließ Frau und Tochter dort zurück. Sie sollen eines Tages nachkommen, wenn er sicherstellen kann, dass sie gefahrlos nach Deutschland reisen können. Auch sein Vater, Professor der Geologie in Damaskus, soll dann nachkommen. Genau darin liegt aber das Problem. Die Gruppe berichtet mir, dass sie den Tod auf der Reise gesehen haben und zeigen mir Fotos der Boote, mit denen sie hier her kamen. Ashraf kam beispielsweise über die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien, Ungarn (wo er 7 Tage im Gefängis saß), Österreich bis München. Dort gab er seinen Pass, seinen Führerschein und seine Zulassung als Architekt den Behörden und wurde nach Mönchengladbach verlegt. Jetzt sitzt er, und mit ihm seine Freunde, hier fest.
Die Jungs fragen mich regelrecht aus: Wer ich bin. Wie alt ich bin. Was ich beruflich mache. Wie die Deutschen über Flüchtlinge denken. Ob meine Freunde und Verwandte denken, dass Syrier in Deutschland willkommen sind. Und so weiter. Die Gruppe hört mir aufmerksam zu. Ab und zu muss Ashraf das Englisch, das er besser als ich beherrscht, ins Arabische übersetzen. Ashraf spricht auch fließend Französisch. Er hat 10 Jahre in Frankreich gelebt und kennt die Teile von La Defense in denen ich wenige Jahre zuvor ab und zu gearbeitet habe.
Sie fragen mich, ob ich ihnen helfen kann. Ich bejahe das und biete ihnen an, dass ich ihnen Kleidung, Schuhe und Hygieneartikel besorgen kann. Ashraf lächelt. Er sei nicht hier her gekommen, um gratis Kleidung zu erhalten. Die Gruppe will arbeiten. Sie will lernen, wie Deutschland funktioniert. Wie die Gepflogenheiten hier sind. Sie wollen Deutsch lernen (und tuen es bereits!). Das Essen der Deutschen probieren. Und Ruinen, Wälder, Seen und Flüsse besichtigen.
“Ich verstehe nicht ganz.”, gebe ich Ashraf zu. “Ihr habt nur die Kleider die ihr am Leib tragt, aber wollt keine materielle Hilfe von mir?” – “Ja, ganz richtig.” – “Our dignity forbid us to beg for money, food and clothes.”. Ich willige ein und verspreche ihm, dass ich ihnen Mönchengladbach zeige und etwas Deutsch beibringe. Sie sind begeistert und bitten mich mitzukommen. Die Truppe möchte eine Rauchen.
Wie ich später verstehen sollte, war das nur ein Ablenkungsmanöver. Wohl kurz davor hat sich die Gruppe auf arabisch beraten, dass sie eine syrische Mahlzeit zubereiten wollen, an der ich teilnehmen soll. Als wir wieder in den Schlafbereich gehen, wartet auf dem Tisch eine Pfanne auf uns. Mostafa strahlt mich an: “I made this! It’s Eggs with Tomatoes.”
“You’re invited to eat with us. We want to thank you for spending time with us.”. Wow, die Gäste in unserem Land sind plötzlich meine Gastgeber. Gegessen wird das Gericht mit Fladenbrot, das sie in Mönchengladbach kaufen. Jeder reisst sich ein Stück vom Brot ab und nimmt sich damit etwas aus der Pfanne. “In Syria, the guest must eat a lot!”, albern sie.
Wir quatschen über eine Stunde über Gott und die Welt. Über Deutschland und Syrien, die Bundeswehr, über Hartz IV, über Mietrecht und Fahrschulen. Ich versuche ihnen so viele nützliche Informationen zu geben wie ich kann. Sie sind sehr interessiert an diesen Themen und stellen ständig neue Fragen. Auch über das tote Kind am Strand, das durch die Medien geistert, sprechen wir.

Inzwischen ist es schon halb Neun Uhr abends, als die Gruppe mich bittet sie nach draußen zu begleiten. Sie haben dort eine Shisha angemacht und möchten, dass ich sie mit ihnen teile. In gemütlicher Runde sitzen wir draußen, als ich zu Ashraf sage, dass ich kurz zu meinem Auto gehen möchte um meine Jacke zu holen. Ashraf antwortet mir, dass er bereits vor einer Minute jemanden geschickt hat um mir eine Jacke zu bringen. Derartige Gastfreundschaft bin ich nicht gewohnt.
Einige andere Syrier gesellen sich zu uns. Ich lerne erste Wörter Arabisch: “as-salāmu ʿalaikum” und “alaikum us-salām”. Auch, wie man die Shisha richtig weitergibt: Man legt den Schlauch in eine Schleife und reicht sie seinem Nachbarn. Dieser tappt auf meinen Handrücken und sagt: “šukran” (Danke).
Nach der Shisha gehen wir wieder rein und trinken zusammen Tee. Chips werden serviert und die Stimmung ist gut. Sie fragen wann ich das nächste mal wiederkomme. Ich sage: “Sonntag!”. Sie sagen: “Dann bereiten wir für Sonntag ein traditionelles syrisches Abendessen vor und du bringst deine Freundin mit!”. Ich freue mich und sage zu.
Ashraf kommt nochmal auf mein Angebot der materiellen Hilfe zurück. Es gäbe doch zwei Dinge, die er sich sehnlich wünsche. “Do you know what a flute recorder is?” – Argh, ein flute recorder. Was war das nochmal? Eine Klarinette? Eine Oboe? Nein, eine Blockflöte. Aber er wünscht sich eine spezielle. Sie muss die deutsche Spielweise aufweisen, aus drei Teilen bestehen und nur zwei Doppellöcher haben. Er sagt, dass sie in Syrien sehr teuer seien. Dort hat er eine von Yamaha. Sie kostet dort umgerechnet 135€. Gemeinsam schauen wir bei Amazon: Ein ähnliches Modell kostet hier 7,40€. Ich bestelle ihm eine.
Sein zweiter Wunsch betrifft das Deutschlernen. Unbedingt möchten alle im Raum die Deutsche Sprache lernen. Ob ich ihnen nicht ein paar Lehrbücher kaufen könne. Ich willige ein und entscheide mich am Folgetag für das Thannhauser Modell und bestelle ein paar Exemplare. Zudem ein Wörterbuch “Arabisch – Deutsch/Deutsch – Arabisch”.
Gegen 23 Uhr trete ich die Heimreise an. Die Jungs begleiten mich zu meinem Auto – sie selber fuhren Opel in Syrien – und verabschieden mich. Zufrieden und satt fahre ich nach Hause. Bereits dort mache ich mir Gedanken, wie ich ihnen Deutsch beibringen soll. Tafel? Flipchart? Beamer? Kreide, Eddings, Hefte, Stifte? Das ganze muss gut organisiert sein. Todmüde falle ich zuhause ins Bett.
Hallo David :)
Ich fand deinen Bericht über das Flüchtlingslager in MG sehr interessant !
Seid einigen Tagen versuche ich jemanden bei den Hilfsorganisationen
zu erreichen … “TIN” , “MOGLI” oder auch “SKM”
Leider erreiche ich niemanden ! Würde mich gerne für Flüchtlinge einsetzen. Vielleicht kannst du mir da weiterhelfen ? :) ganz liebe Grüße !
Feyza aus MG
Hallo Feyza!
Vielen Dank für deinen Kommentar. Das TiN ist seit Ende 2015 nicht mehr in kommunaler Hand, sondern wird vom Land NRW betreut. Daher hat sich eine ganze Menge geändert. Falls du dich gezielt im TiN oder im JHQ engangieren möchtest, dann setz dich doch mit der Ehrenamtskoordinatorin von European Homecare in Verbindung: dielmann@eu-homecare.com